Unics Kazan: John Brown III., der defensive Gamechanger

Das Überraschungsteam der ersten 18 Spieltage ist Unics Kazan. Der am östlichsten gelegene Vertreter der Euroleague steht auf dem fünften Platz – vor den drei Vorjahres-Final-Four-Teilnehmern Mailand, Moskau und Efes Istanbul. Ausgerechnet ein Euroleague-Rookie in John Brown III. ist der Hauptgrund für den Höhenflug und lässt Defense attraktiv aussehen.

Kader und Saisonstart Unics Kazan

Vor der Saison hatten vermutlich nur sehr wenige Euroleague-Interessierte Unics Kazan als ernsthaften Kandidaten für die Playoffs auf dem Zettel. Alleine ein Blick auf den Kader hinterlässt vom Resümee der Namen her kaum innehalten. Am ehesten sorgt dafür noch O.J. Mayo. Der einstige Highschoolstar, der als Teenager selbst NBA-Größen als Zuschauer begrüßen durfte und trotz verheißungsvollen Starts in seine NBA Karriere dort nicht so recht Fuß fassen konnte, war eine späte Verpflichtung des russischen Clubs Ende September unmittelbar vor dem Saisonstart.

O.J. Mayo feierte mit 33 Jahren sein Euroleague Debüt (c) Euroleague

Wie als Bestätigung fiel auch der Start in die Spielzeit wenig verheißungsvoll aus: Vier der ersten fünf Partien gingen für den VTB-League-Vertreter verloren. Lediglich gegen die Bayern gelang ein Heimsieg. Besonders beim Auswärtsspiel gegen Fenerbahce Istanbul präsentierte sich die von Velimir Perasovic gecoachte Mannschaft desaströs und ging mit 80:41 sang- und klanglos unter.

Aber seitdem gelang es dem Kroaten, sein Team auf Kurs zu bringen. Zuletzt gewann Kazan sieben der letzten neun Begegnungen. Gegen CSKA Moskau war das Ergebnis sogar so eindeutig, dass sich die dortigen Klubbosse zur – mittelalterlichen – Disziplinarmaßnahme veranlasst sahen, den eigenen Spielern zehn Prozent des Januargehalts zu streichen.

Die beiden einzigen Niederlagen setzte es jeweils nach Verlängerung zu Hause gegen Olympiakos Piräus (Tabellendritter) und beim FC Barcelona (Spitzenreiter). Beide Spiele hätten die Russen genauso gut gewinnen können. Gerade in Barcelona dominierten sie das Geschehen und führten beständig mit einem Abstand von 15 bis 20 Zählern, ehe Isaiah Canaan sich zu einer verfrühten „Shh“-Geste hinreißen ließ, der wiederum die Heimmannschaft in ihrem Stolz derart anstachelte und die baskische Volksseele auf den Tribünen zum Kochen brachte, dass Barcelona in den letzten fünf Minuten aufdrehte, die Verlängerung erzwang und dort doch noch gewann.

Zwei Gründe sind maßgeblich dafür, dass es bei Kazan derzeit so rund läuft. Erstens mag das Team nicht sonderlich vor Starpower strotzen, doch dafür sind die Rollen klar verteilt und jeder Spieler erfüllt die ihm angedachte Aufgabe hervorragend. Die Spielertypen ergänzen sich exzellent, sodass wenig Reibung entsteht und der Gameplan stets sehr klar ausfällt. Zweitens definieren sich die Russen sehr stark über ihre Verteidigung. Die gute Defense ist wiederum sehr eng an den Namen John Brown III. geknüpft.

John Brown III.

John Brown III. verbrachte seine College-Karriere an der kleinen und nahezu unbekannten High Point University, die wiederum in der kleinen Big South Conference einsortiert ist. Trotzdem schaffte es Brown mit seinen Highlight-Dunks regelmäßig in die Top10-Liste des Sport Centers und somit in die überregionalen Medien. Eine ausführliche Beschreibung zu Herkunft und Werdegang liefert dieser Artikel von Donatas Urbonas.

John Brown III. wurde einst von ESPN Analyst Jay Bilas als der beste Dunker in der NCAA betitelt (c) Winston-Salem Journal

Browns Qualitäten jedoch nur auf seine Energie, seinen Siegeswillen und seine mentale Stärke zu schieben, würde zu kurz greifen. Denn daneben sind zwei Komponenten von entscheidender Bedeutung: erstens hat Brown eine phänomenale Antizipation dafür, was der nächste Schritt der Offense sein wird. Diese Antizipation beruht zum Teil zweitens auf seinem hohen Basketballsachverstand.

Sowohl offensiv als auch defensiv findet Brown Lücken und füllt sie effektiv, sodass er einen positiven Einfluss auf das Spiel nehmen kann. Egal ob Brown das Spielgerät selbst in der Hand hält oder nicht und egal, wer sonst noch auf dem Parkett steht: Brown ist derjenige unter den zehn Spielern, der das Kommando vorgibt und am ehesten im Alleingang das Spiel für sein Team gewinnen kann. Da ein Bild bekanntlich mehr aussagt als tausend Worte, muss das bisher Geschriebene als Vorrede reichen.

P&R Defense

Hedge

Nominell startet Brown als Power Forward, allerdings wäre die Bezeichnung „Energy Forward“ weitaus zutreffender, wenn es sie denn gäbe. Mit der Schnelligkeit und Wendigkeit eines Guards ist Brown für verschiedene Pick & Roll Verteidigungsvarianten eine ideale Besetzung. Besonders gerne liebt er jedoch das Hedgen.

Hierbei schnappt Brown wie eine Kobra auf der Jagd nach einem ahnungslosen Kaninchen sofort nach dem Ball, wenn sich der Guard die kleinste Leichtsinnigkeit lässt. Und selbst wenn nicht, schnappt Brown trotzdem zu. Sein besonderer Trick: Er versteckt sich meist hinter dem Blocksteller, um den Ballhandler im Glauben zu lassen, er sei weder an einem aggressiven Hedgen interessiert, noch in der Lage, so schnell in Griffnähe zu gelangen, um den Ball zu stealen. Eine fatale Fehleinschätzung. Muss der Ballhandler seinen eigenen Verteidiger auch noch vorbereiten, also vielleicht den Block im ersten Anlauf rejecten und anschließend erst nutzen, dann besteht eigentlich keine Chance mehr, Browns Klauen zu entkommen.

Switch

Ähnlich wie beim Hedge ist auch der Switch für Brown eine absolute Vorliebe. Während die meisten Bigs der Euroleague es gerne vermeiden würden, ständig einen Shane Larkin oder Rodrigue Beaubois aus der Zone heraushalten zu müssen, liebt Brown diese Herausforderungen. Aus gutem Grund. Denn in Situationen, in denen sich andere Spieler seiner Größe die Knoten aus den Beinen entwirren müssten, frustriert Brown die Star-Guards.

Brown hat die Fußschnelligkeit und laterale Geschwindigkeit, um in einem üblichen Abstand zu verteidigen, weswegen die Guards nicht einfach den Pullup über die langen Arme Browns werfen können. Zudem kontrolliert er selbst die schnellsten Guards im Eins-gegen-Eins und hält sie aus der Zone heraus oder forciert sie zu sehr schweren Abschlüssen.

Scram Switches

Generell switcht Kazan oft im Pick & Roll. Nicht nur dann, wenn Brown involviert ist. Im Gegensatz zu Brown haben seine Mitspieler bei Crossmatches jedoch durchaus Nachteile zu befürchten. Um diese wiederum zu negieren, noch bevor sie großen Schaden anrichten können, besteht eine Anschlusstaktik darin, per Scram Switch Schadensbegrenzung zu betreiben. Das bedeutet konkret, dass der sich abrollende Spieler nicht wirklich vom Guard-Verteidiger übernommen wird. Stattdessen gibt dieser den deutlich größeren Big an einen Flügelspieler oder den zweiten Big der Lineup ab, um die Größenunterschiede wieder anzugleichen.

Auch hierfür ist Brown wie geschaffen. Denn einerseits ist Brown – sofern er auf der Weakside steht – geradezu der ideale Tauschpartner. Schließlich denkt er immer mit und scheint sowohl Mit- als auch Gegenspieler gedanklich einen Schritt zuvor zu sein, weswegen er oft schon den abrollenden Big Man übernommen hat, noch ehe sich der Guard-Verteidiger selbst orientiert hat.

Teamdefense

Kommunikation

Doch nicht nur in der Pick & Roll Defense ist Brown in einer eigenen Qualitätsklasse zu führen. Auch als defensiver Koordinator und Anker hält Brown seine Mitspieler auf Position und ist damit ein essentieller Bestandteil der zementartigen Unics-Defense. Wie ein Assistant Coach auf dem Feld, der die letzte Woche im Videokeller verbracht und dort jeden einzelnen Spielzug des Gegners mit sämtlichen Ausstiegsoptionen auswendig gelernt hat, kommandiert Brown seine Nebenleute auf die richtigen Spots.

Dass diese dann bisweilen trotzdem noch Rotationen verschlafen oder nur halbherzig ihren Dienst antreten ist enorm verwunderlich. Browns Gelassenheit im Umgang mit diesen Fehlern ist hingegen bewundernswert. Statt sich erbost darüber auszulassen, strahlt er weitere eine positive, motivierende Körpersprache aus und bügelt Fehler seiner Teamkameraden kurzerhand selbst aus, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.

Paint Protection

Während der Terminus „Rimprotection“ mittlerweile ein geflügelter Begriff im Fachjargon ist, wäre es im klassischen Sinne der Interpretation falsch zu behaupten, dass Brown ein Rimprotector ist. Dafür verändert Brown zu wenige Würfe und blockt erst recht auch nicht genug davon.

Seine Spezialfähigkeit ist da fast noch wertvoller: Er verhindert häufig, dass überhaupt Abschlüsse entstehen. Denn besser als ein geblockter Abschluss oder ein Abschluss mit geringer Erfolgswahrscheinlichkeit ist ein Abschluss, der gar nicht erst entsteht. Somit wäre es treffender von Brown als einer Art „Paint Protector“ zu sprechen.

Schließlich sorgen seine Präsenz und Rotationen von der Weakside dafür, dass in aller Regel gar keine Abschlüsse in der Zone entstehen. Entweder stealt Brown den Ball direkt oder er fälscht den entscheidenden letzten Pass ab, wodurch der Gegner nur einen Einwurf erhält. Nach 18 Spielen eilt dem Linkshänder sein Ruf zudem voraus und viele Gegenspieler überlegen es sich zwei Mal, ob sie einen Pass in die Zone wirklich spielen wollen, wenn Brown nur auf seine Chance zum Steal lauert.

Gamble

Manchmal gehen mit Brown allerdings auch die Pferde durch und das Risiko, das er eingeht, ist dann doch ein zu hohes. Gegen Anadolu Efes Istanbul versucht er in einem Spiel gleich drei Mal den Entry-Pass beim Iverson Cut zu stealen. Während er beim ersten Mal in den Anfangsminuten noch Erfolg hatte, endete die zweite Situation bereits in einem Dunk. Und beim dritten Mal waren die Istanbuler darauf vorbereitet und ließen Brown nicht den Hauch einer Chance. Das sind die wenigen Lehrmomente, in denen Brown dann doch so wirkt wie der Spieler, der er eigentlich ist: ein Euroleague-Rookie:

Offense

So ganz ohne eigene Punkte wird es aber dennoch schwer, ein Basketballspiel zu gewinnen. Und hier stellt sich sowohl bei Brown als auch bei Kazan als Team am ehesten noch die Frage, woher das Scoring kommen soll.

John Brown: Midrange Game

Die wohl größten Steine in seinem bisherigen Weg hatte Brown offensiv aus dem Weg zu räumen. Scheinbar allzu häufig schreckten Coaches und Manager europäischer Clubs vor einer Verpflichtung des Linkshänders zurück, da ihnen partout nicht einfallen wollte, wie sie Brown offensiv nutzen könnten.

Zugegeben: konventionell sieht anders aus. Allerdings ist Brown auch kein Spieler, der im Playbook mit einer Unmenge an Playcalls zu berücksichtigen wäre. Vielmehr findet er selbst seine Spots und kann – mit dem Eingeständnis dieser Freiräume – durchaus sein Midrange Game anbringen. Zwar sieht der Wurf gewöhnungsbedürftig aus und auch das Attribut „kontrolliert“ wird in dieser Hinsicht selten fallen, doch Brown trifft öfter, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Und als Wundertüte der besonderen Art erwischt er die Defense oft genug auf dem falschen Fuß. Gerade langsame Shooting Bigs können den Brillenträger nur in den seltensten Fällen vor sich halten. Mit einem Dribbling ist er dann schon in der Zone, wo er sich wohl fühlt und spektakulär finisht.

Teamoffense: Trust your Backcourt

Doch letzten Endes ist es auch nicht Browns alleinige Aufgabe, Punkte zu produzieren. Stattdessen lastet diese Verantwortung auf den Schultern der Guards. Lorenzo Brown und Mario Hezonja wurden im Sommer extra verpflichtet, um für mehr Gefahr zu sorgen. Obwohl Lorenzo eigentlich selbst kein Instinktscorer ist, sondern sich bereits seit Collegetagen eher als Assistgeber und Organisator stilisiert, bewies er in dieser Saison einigen Spielen seine Fähigkeiten als Scorer.

Dass Super-Mario keine erste Aufforderung benötigt, um wie wild auf den Korb zu feuern und Zählbares zu produzieren, ist mittlerweile auf der gesamten Basketballlandkarte bekannt. Bislang gelingt es dem kroatischen Wing auch ganz gut, seine offensive Gunnermentalität einzubringen. Notfalls kommt mit Isaiah Canaan ein sechster Mann von der Bank, der ebenfalls um keinen Wurf verlegen ist.

Ausblick

Es wird die vielleicht spannendste Feldstudie der Rückrunde sein zu beobachten, ob und wie John Brown III. individuell sowie Unics Kazan als Team das bisher geleistete Zwischenresultat zu bestätigen und den Playoffplatz zu verteidigen. Brown lebt von seiner schier nie endenden Energie und die Logik gebietet anzunehmen, dass der irrsinnige Rhythmus des Euroleague-Spielplans irgendwann seinen Tribut fordern wird.

Andererseits gibt es hinter Kazan nicht so viele Teams mit einer aufsteigenden Tendenz, dass der Playoffplatz sich in unmittelbarer Gefahr befindet. Und wer mal einige Spiele von Brown gesehen hat – wenn auch nur über den Bildschirm, der wird das Gefühl nicht los, dass ein John Brown III. Müdigkeit oder einen turbulenten Spielplan nicht als Ausrede für Niederlage akzeptiert.

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