Gonzaga: Same procedure as every year

Vor der Saison galten die Zags als haushoher Favorit auf den Titelgewinn, da der Kern des Finalteams aus der Vorsaison erhalten blieb und um den potentiellen ersten Pick des kommenden Drafts, Chet Holmgren, ergänzt wurde. Kein Team spielte einen härteren Spielplan, wodurch auch die beiden frühen Niederlagen gegen Duke und Alabama nicht verwundern sollten. Trotzdem verschwanden die Bulldogs wie so oft aus den Schlagzeilen; dabei gilt nach wie vor: wer den Titel gewinnen will, muss erstmal an den Zags vorbeikommen.

Kontext

Kein Team gewann im Kalenderjahr 2021 mehr College Basketballspiele in der Division I als die Zags. Dennoch wird darüber in Spokane vermutlich nicht so recht Freude aufkommen; zu sehr schmerzt die Finalniederlage gegen Baylor. Auf der anderen Seite haben die Zags erneut gute Aussichten, eine zweite Chance zu erhalten. Drew Timme, bereits letzte Saison einer der dominantesten Bigs der NCAA, kehrte auf den Campus zurück. Ebenso entschloss sich Andrew Nembhard zu einer Rückkehr. Dieses Jahr nicht mehr als sechster Mann, sondern als Floor General.

Entsprechend galt Gonzaga vor der Saison als „Team to beat“ und scheute die Herausforderung nicht. Im Gegenteil ging Coach Few bei der Spielplangestaltung so aggressiv wie selten zuvor vor und arrangierte Aufeinandertreffen mit Schwergewichten wie Texas (86:74), UCLA (83:63), Duke (81:84), Alabama (82:91) und Texas Tech (69:55).

Durch die zwei Niederlagen verlor der Hype etwas an Schwung, doch diese Spiele dürften das Team nur noch besser auf ähnliche Situationen im März vorbereitet haben. Insofern lohnt ein Blick auf die vielleicht beste Mannschaft der Collegewelt mit der vielleicht besten Offensive, die zwischenzeitlich drei Spiele in Folge über 110 Punkte erzielte und derzeit einen Gegner nach dem nächsten abfertigt.

Chet Holmgren

Für viele Betrachter ist Chet Holmgren nicht nur aufgrund seiner Körperhöhe (ca. 2,15m, 7’1“) der größte Hingucker. Je nach Draftexperte ist Holmgren der leichte Favorit auf die erste Wahl im kommenden Draft, wobei ihm seine zwei Konkurrenten Paolo Banchero und Jabari Smith Jr. eng auf den Fersen sind.

Holmgren hat das Potential zum Einhorn, wird aber aufgrund seiner Statur mit zweifelnden Blicken beäugt. Die fehlende Masse ist sicherlich ein Problem und sein Körpertyp legt nah, dass er wohl niemals vor Muskeln strotzen wird, doch davon abgesehen, dass es hier abzuwarten gilt, was möglich ist, kann Holmgren schon jetzt Basketballspielen seinen Stempel auf vielfältige Art und Weise aufdrücken.

Defense

Zunächst sticht hervor, dass Chet ein exzellenter Verteidiger ist. Das gilt nicht nur für seine Rimprotection, die angesichts seiner Größe gerne mal vorausgesetzt wird. In Korbnähe liefert Chet exzellenten Ringschutz, was eine Dimension ist, die den Zags bislang in allen Teams der vergangenen Jahre gefehlt hat. Seine Block Percentage von fast zwölf Prozent gehört zu den Top20 der NCAA. Dabei sticht heraus, dass Chet a) gutes Timing besitzt und b) viele Bälle auch im Spiel hält bzw. direkt erobert.

Zusätzlich ist Chet auch mobil genug für Switches und kann sowohl grundsätzlich Pässe in der Deny-Verteidigung als auch im Pick & Roll Pocket Pässe mit seinen langen Armen abfangen.

Effekte auf Team Defense

Dank der Gewissheit eines Rimprotectors im Rücken nutzt Mark Few noch häufiger in den Vorjahren seine 1-2-2-Zonenpresse, die er zuvor maximal ein bis zwei Mal pro Spiel nach Auszeiten aufstellen ließ. Selbst wenn die Presse geschlagen wird und eine vermeintliche Überzahlsituation für den Gegner entsteht, hat Chet die Lage meist im Griff.

Coast-to-Coast

Über die Defense hinaus gelingt es Chet meistens, nach Blocks oder Defensivrebounds das Tempo anzuziehen und direkt auf den Angriffsmodus umzuschalten. Nicht zuletzt deswegen spielt Gonzaga mit der höchsten Geschwindigkeit aller NCAA Teams.

Beeindruckend ist auch, dass Chet in der Regel sehr sorgsam überlegt, ob er wirklich ganz bis zum Korb durchstoßen kann oder die Defense doch einigermaßen die Lücken in letzter Sekunde schließen konnte und der Übergang ins geordnete Setplay vorzuziehen ist.

Shooting

Neben den ausgezeichneten Werten beim Schutz des Rings sticht vielleicht die Dreierquote von Holmgren am meisten heraus. Aberwitzige 46% seiner Dreierversuche finden im bisherigen Saisonverlauf ihr Ziel – bei 1,5 Treffern pro Spiel.

Am Anfang der Saison kamen die meisten seiner Distanzwürfe noch aus der Transition heraus, wenn er als Trailer an der Birne angespielt wurde und sein Gegenspieler absank, um das High-Low-Anspiel auf seinen Frontcourt-Kollegen zu verhindern. Mittlerweile zeigt Holmgren sogar Facetten, die eher Guards besitzen. So bestraft er beispielsweise, wenn sein Gegenspieler bei Handoffs unter dem „Block“ hergeht oder er liftet auch mal im Rücken der Verteidigung an die Dreierlinie und versenkt den Wurf aus einer flüssigen Catch-and-Shoot-Bewegung.

Drives

Chets Paket wird abgerundet durch seines Skills als Ballhandler. Bislang kann er diese nur andeuten, aber wenn er sie dann doch mal zeigt, schnalzen NBA Scouts vor Freude mit der Zunge.

Aufgrund seiner langen Schritte ist Chet in Windeseile in der Zone und zieht damit sehr viel Aufmerksamkeit auf sich. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Zunächst ist auf der Vorteilsseite festzuhalten, dass er schon jetzt einen sehr wirksamen Spinmove besitzt. Mit Balance und Fingerspitzengefühl schafft er es trotz des abrupten Richtungswechsels die Kontrolle zu wahren und zu finishen

Auf der anderen Seite ist jedoch zu konstatieren, dass viele Teams soweit absinken, dass Chet häufig keinen Platz für seine ausladenden Schritte und Bewegungsmuster hat. Häufig ist schon ein Verteidiger zur Stelle, noch ehe der Big seinen ersten Schritt aufgesetzt hat. Dadurch muss er immer wieder vorzeitig abbrechen, Kickouts spielen und kommt selten zum Zug. In der NBA wird das schon deutlich anders aussehen.

Andrew Nembhard

In der vergangenen Saison war der Kanadier zunächst noch als sechster Mann von der Bank eingeplant, ehe Mark Few in der zweiten Hälfte der Spielzeit dazu überging, mit einer kleineren Formation und zwei Lead Guards die Partien zu beginnen. In dieser Saison ist Nembhard nach dem Abgang von Jalen Suggs nun unbestritten der erste Ballhandler und Dirigent des Ensembles.

In dieser Rolle kommt Nembhard sehr viel Verantwortung zu, denn auch die zweitbeste Offense (laut KenPom) der NCAA gerät hin und wieder mal ins Kiesbett und muss zurück auf den Pfad geführt werden. Hier hat sich Nembhard sicherlich im Vergleich zu vorheriger Saison gesteigert und beweist speziell als Passgeber nochmal eine neue Dimension, was das Lesen von Winkeln und Antizipieren von entstehenden Lücken in der Verteidigung betrifft.

Aber: nach wie vor ist Nembhard als Scorer nicht über jeden Zweifel erhaben. Sowohl der Dreier (33%) als auch die Finishes in der Zone schwanken je nach Tagesform beträchtlich in ihrem Resultat. Besonders wenn die Defense unter dem Block im Pick & Roll lang geht, kann es für Nembhard im wahrsten Sinne des Wortes eng werden. Ähnlich wie schon bei Holmgren skizziert besteht einer der wenigen Nachteile der Zags Offense darin, dass sie doch oft mit zwei Bigs am Zonenrand operiert und der Platz entsprechend begrenzt ist.

Gonzaga Halfcourt Offense

Das kann soweit gehen, dass die offensiven Bemühungen gänzlich zum Erliegen kommen und selbst der sonst so dominanten Offensive die Ideen ausgehen. Die folgende Szene ist dafür exemplarisch, da zunächst Chet in zwei Anläufen keinen Vorteil generieren kann und auch ein anschließendes Pick & Roll keine Lücke reißt, weshalb Nembhard einen uninspiriert wirkenden Dreier nimmt.

Drew Timme

Solche Szenen haben jedoch Seltenheitswert, denn Few kann notfalls immer noch seinen Joker Drew Timme ziehen. Der Moustache ist verschwunden, die Dominanz allerdings geblieben. Nach wie vor gibt es keinen Spieler in der NCAA, der sich im Eins-gegen-Eins mit solcher Frequenz und Verlässlichkeit einen hochprozentigen Abschluss selbst kreieren kann als der Texaner im Dress der Zags.

Seals & Postups

Grundsätzlich ist Timme alleine schon deswegen der Idealtyp eines College Big Man, weil er im Lowpost de facto nicht zu stoppen ist. Timme kombiniert Gefühl für das Spiel, den eigenen Körper und seinen Gegenspieler mit einer hochentwickelten Fußarbeit.

Häufig beginnt seine Arbeit schon vor dem Ballerhalt, wenn er sich geschickt in der Zone positioniert und seinen Gegenspieler sealt. Reicht das noch nicht, um direkt per Catch-&-Finish abzuschließen, spielt er gerne Katz und Maus mit seinem Gegenspieler. Mehr als sechs Mal pro Spiel wird Timme gefoult und trifft zudem 63% seiner Zweier.

Short Roll

Sehr gerne nutzen die Zags Timme aber auch als Playmaker aus dem Short Roll. Besonders aus Auszeiten heraus malt Few gerne Plays auf, die darin enden, dass sich Timme auf die Freiwurflinie abrollt.

Von dort aus kann es dann entweder in einer flüssigen Bewegung direkt bis zum Korb weiter oder aber falls der eine Weakside-Verteidiger sich für eine aktive Hilfe entscheidet, ist Timme gedankenschnell genug für den Kickout zum offenen Schützen in der Ecke.

Defense

Die große Schwachstelle im Spiel vom Center ist allerdings die Verteidigung. Gerade in lateralen Bewegungen fehlt dem Big Man schlicht und ergreifend die Schnelligkeit, um kleinere Gegenspieler vor sich zu halten.

Das kann sowohl gegen Small Ball Lineups als auch im Pick & Roll zum Problem werden. Daher ist er oft auf die Hilfe seiner Mitspieler angewiesen. In dieser Saison hat er mit Chet erstmals einen verlässlichen Ringbeschützer an seiner Seite oder in seinem Rücken, der die Fehler des Juniors ausbügelt.

Edle Zuarbeiter

Komplettiert wird die stärkste Starting Five der NCAA von zwei Swingmen, die zwar unter dem Radar fliegen, für Few aber von unschätzbarem Wert sind. Der Erfolgstrainer aus Spokane ist bekannt dafür, lieber eine kurze Rotation zu fahren, bei der er sich auf die Eingespieltheit und fehlerfreie Execution verlassen kann.

Diese Anforderungen erfüllen sowohl Rasir Bolton als auch Julian Strawther perfekt und sind damit die perfekten Komplementärspieler zu den Skillsets des Star-Trios.

Rasir Bolton

Besonders die reibungslose Eingewöhungszeit von Rasir Bolton ist bemerkenswert. Immerhin spielt er nun schon an seinem dritten College und war in der Vorsaison für die Iowa State Cyclones noch in einer ganzen anderen Rolle unter ganz anderen Umständen unterwegs.

Vom offensiven Alleinunterhalter ist er nun zum Kettenhund für den besten gegnerischen Offensivspiel mutiert. Diese Rolle erfüllt Bolton allem Anschein nach bravourös und ohne große Klagen. Mit seiner Intensität in der Verteidigung bringt er eine weitere Qualität mit, die im letztjährigen Kader der Zags so nicht vorhanden war. Zudem ist er als exzellenter Dreierschütze (45,5%) wichtig für das Spacing.

Julian Strawther

Ebenso sorgt auch Julian Strawther für Platz durch seine Hochprozentigkeit von der Dreierlinie. Das war es dann aber auch mit den Parallelen zwischen ihm und Bolton. Strawther feiert in seinem zweiten Jahr in Spokane sein Breakout-Jahr, nachdem er als Freshman nur sporadisch Minuten erhielt.

Mit seinen Performances gegen Teams wie Duke (20 Punkte und zehn Rebounds) hat sich der athletische Flügelspieler direkt auf die Notizzettel von NBA Scouts transportiert, auch wenn er sicherlich noch an Konstanz in seinem Spiel zulegen muss. Aber als Trumpfkarte und X-Faktor kann Strawther schon jetzt durch seine Dreier, Dunks und Floater gegen jeden Gegner 20 Punkte auflegen und dadurch vielleicht den entscheidenden Unterschied ausmachen.

Fazit

Insgesamt sind die Zags in diesem Jahr vielleicht nicht ganz so hochklassig besetzt wie in der Vorsaison, weil sie über etwas weniger Tiefe und Erfahrung verfügen. Dafür sind jedoch die Schwachstellen, die besonders im vergangenen Finalspiel gegen Baylor schonungslos offengelegt wurden, behoben.

Besonders defensiv stellen die Additionen von Chet Holmgren und Rasir Bolton massive Verstärkungen dar. Bolton ist der gute Perimeter-Verteidiger, der in der vergangenen Saison gefehlt hat. Chet hingegen kann Fehler seiner Mitspieler durch seine Rimprotection bereinigen und ist damit besonders für Drew Timme die ideale Nebenbesetzung.

Somit sind die Zags voll auf Kurs und werden den verbleibenden Monat bis zur Beginn der March Madness dazu nutzen, sich noch weiter einzuspielen. Spannend wird zu sehen sein, inwiefern sich die Duelle mit den großen Teams zu Saisonbeginn in kniffligen Situationen bemerkbar machen. Besonders auf Andrew Nembhard und Drew Timme lastet nun die Erwartung, jeweils Bestleistungen abzurufen, wenn es darauf ankommt. Gelingt das beiden, geht die Titelvergabe nur über Gonzaga.

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