Auburn Tigers: Zum ersten Mal die 1

Zugegeben: Es gibt bessere Metriken, um die wahre Spielstärke von NCAA Teams einzustufen, als die Rankings der Presselandschaft im Stande sind. Und dennoch gibt es für College Programme kaum eine höhere Auszeichnung, als an Nummer 1 platziert zu sein. Es ist ein Ausdruck von Prestige, dem Wert der Marke und für jeden Gegner eine Zusatzmotivation das vermeintlich beste Team des Landes zu schlagen. Erstmals in der Schulhistorie wurde nun Auburn, eine „Football School“, diese Ehre zuteil – zurecht?

Kontext

Seit der Ankunft von Trainer Bruce Pearl im Jahr 2014 haben sich die Tigers kontinuierlich zu einem der erfolgreichsten Programme auf nationaler Bühne entwickelt. Zwischenzeitlicher Höhepunkt war die Final Four Teilnahme im Jahr 2019. Die vergangene Saison war so etwas wie ein Ausrutscher (13:14-Bilanz), zumal sie aufgrund des selbstauferlegten Postseason Banns (dazu später mehr) auch liebend gern unter den Teppich gekehrt wird.

Insofern war die Erwartungshaltung vor der Saison moderat: Sicherlich war intern wie extern klar, dass die Tigers wieder angreifen wollten und dafür mit Jabari Smith – einem Toprekruten der Freshman Class ein neues Zugpferd erstanden hatten. Doch mit dem bisherigen Saisonverlauf hätten wohl nur die kühnsten Optimisten gerechnet, zumal mit Allen Flanigan der anvisierte Topscorer und Anführer des Teams verletzungsbedingt erst nach Weihnachten langsam wieder ins Geschehen eingreifen konnte und damit das erste Saisondrittel verpasste.

Doch nun, nach 20 Spielen, sieht die Situation ganz anders aus. Nur ein einziges Mal mussten sich die Tigers in dieser Spielzeit geschlagen geben. In einer wahren Schlacht, ein weniger martialischer Begriff würde der Härte des Spiels und der Anzahl der Fouls nicht gerecht, musste sich Auburn nach zweifacher Verlängerung UConn mit 115:109 geschlagen geben. Demgegenüber stehen Siege gegen die SEC Rivalen LSU, Alabama und zuletzt Kentucky. Doch wie gut ist Auburn wirklich und was zeichnet die Mannschaft aus?

Jabari Smith

Potentieller Nummer-Eins-Pick: Jabari Smith

Das Aushängeschild der Saison hat in der ersten Hälfte der Spielzeit mehr als nur geliefert. Sein Skillset in Kombination mit seinen physischen und athletischen Voraussetzungen haben zum Teil derartige Begeisterung hervorgerufen, dass Jabari Smith mittlerweile in der Konversation um den ersten Pick des kommenden Drafts regelmäßig genannt wird.

Auf den ersten Blick ist diese Idee verständlich. Mit 6’10“ – umgerechnet also etwa 2,08m – gelistet und augenscheinlich mit langen Armen ausgestattet bringt Smith ideale körperliche Voraussetzungen mit. Smith sticht bei der ersten Betrachtung sofort hervor, weil seine Bewegungsabläufe sehr geschmeidig aussehen und die Proportionen prototypisch für einen Modellbasketballer erscheinen.

Dazu hat Smith ein butterweiches Handgelenk. Seine Dreierquote von 40,8 Prozent bei hohem Volumen (42/103) spiegeln diesen Eindruck wider. Und auch die Freiwurfquote von knapp 80 Prozent rundet das stimmige Bild ab. Smith hat bei seinem Wurf den großen Vorteil, dass er wenig Platz braucht, um ihn Richtung Korb zu feuern. Sein Releasepunkt ist einfach zu hoch für die meisten Verteidiger. Am liebsten hat Smith den Ball auf der linken Spielfeldseite am Knick der Dreierlinie, von wo aus er mit seinem Jabstep zur Mitte den Drive antäuscht und dann doch den Dreier nimmt.

Auburn sucht auch gezielt Smith, wenn ein Run des Gegners gestoppt werden soll oder aus anderen Gründen ein schneller Score erforderlich ist. Dann wird Smith vorzugsweise am Elbow isoliert. Auch von hier aus nutzt er Touch und Längenvorteile gnadenlos aus. Ab und an streut er auch ein Dribbling ein oder setzt zum Fadeaway über ein Doppeln an.

Bis hierhin ist nachvollziehbar, weswegen gerne Vergleiche mit Kevin Durant gezogen werden. Allerdings hat Smith mindestens eine große Baustelle in seinem Spiel, die es zu beheben gilt und hinsichtlich der College-Durant schon wesentlich weiter war: das Ballhandling. Derzeit ist es Smith nicht möglich, mehr als ein Dribbling beim Drive zu machen. Das hat einerseits mit dem engeren Spielfeld am College zu tun und sollte sich hinsichtlich seiner NBA Perspektive in dieser Hinsicht sicherlich von selbst etwas entzerren. Dennoch muss Smith an seinem Ballhandling und an seiner Körperhaltung beim Dribbeln arbeiten, will er den Hype um den ersten Draftpick bestätigen.

Walker Kessler

Legte gegen LSU ein Triple Double mit 16 Punkten, 10 Rebounds und 11 Blocks hin

Dass Auburn den ersten Monat in der SEC Saison unbeschadet überstanden hat, dürfte ohne Zweifel das Verdienst von Walker Kessler sein. Kaum ein Spieler in der gesamten NCAA hatte so einen starken Monat wie der Big Man. Kessler kam im Sommer als Transfer aus North Carolina, wo er sich trotz vieler Vorschusslorbeeren als Freshman sehr schwer tat.

In den letzten Wochen zeigte er allerdings eindrucksvoll, warum er bisweilen als 5-Star-Recruit und einer der besten 20 Spieler seines Highschool-Jahrgangs galt. Mit einer Größe von 7’1“ (2,16m) und schier endlos langen Armen verfügt Kessler über ein hohes Maß an Mobilität. Damit gibt er Auburn jeweils ein neues Element an beiden Enden des Courts.

Kessler ist der beste Rimprotector der NCAA, die Werte entsprechen dem Stand vor dem Spiel gegen Kentucky

Zunächst ist da seine defensive Präsenz, die Auburns Guards den Luxus ermöglicht, so viel Druck auf Ballhandler auszuüben, wie es nur geht. Denn selbst wenn die Verteidiger am Perimeter geschlagen werden, wartet Kessler als Torwart in der Zone.

Mit einer Block Percentage von knapp 18 Prozent führt er die gesamte NCAA in dieser Kategorie an. Was allerdings noch beeindruckender ist, als die schiere Menge an geblockten Würfen, ist die Tatsache, dass er viele dieser Wurfversuche im Spiel hält und seinem Team in der Mehrzahl der Fälle sogar den Ballbesitz sichert.

Zugleich hievt er das Spiel seines Teams auch offensiv auf ein neues Level. Waren die Teams der vergangenen Jahre grundsätzlich ähnlich konzipiert und lebten von überragendem Guard Play, bringt sich als Roller und Ziel für Lobanspiele ebenfalls ein. Das stellt viele Verteidigungslinien vor ein Dilemma: Verhindern wir den Durchbruch der wieseligen Guards oder konzentrieren wir uns doch lieber auf das Abrollen von Kessler? Beides zugleich zu verhindern, ist schier unmöglich.

Guard Play

Im Slang ist gerne von „Dawgs“ die Rede, wenn Mitspieler, Coaches oder Experten die Toughness von Guards liebevoll umschreiben wollen. Doch bei den Guards Auburns wäre es irreführend von nur einem „Dawg“ zu reden, stattdessen handelt es sich eher um einen Zerberus, bei dem alle Köpfe gleichermaßen angriffslustig sind und nie vorauszuahnen ist, welcher Kiefer am Ende zum tödlichen Biss ansetzt.

KD Johnson

Geballte Energie und Emotionen sind bei KD Johnson garantiert

In der letzten Saison spielte KD Johnson noch für Ligakonkurrent Georgia, bei den Spielen zwischen den beiden Teams dürfte Bruce Pearl sofort klar geworden sein, dass Johnson die Verkörperung all dessen ist, wofür die Spielweise Auburns steht: grenzenlose Energie, eine Auftreten getragen von und mit Emotionen sowie die Entschlossenheit auch gegen die massivste Wand anzurennen und sie zum Einsturz zu bringen.

Johnson ist trotz seiner massiven Statur unglaublich schnell und kann zum Teil in einen Gang schalten, der bei anderen Spielern einfach nicht mit eingebaut ist. Durch puren Willen befördert er des öfteren den Ball in den Korb und trifft Dreier, die beim besten Willen nicht als gute Würfe kategorisiert werden können. Solange Johnson mit seinen Aktionen Erfolg hat, funktioniert Auburns Offensive. Und zuletzt bewahrte Johnson mit zwei wilden Crunchtime Layups vor dem Upset gegen Missouri. Doch die Methode birgt auch ihre Gefahren und Johnson tendiert zum Überdrehen. Das kann sich rächen.

Wendell Green Jr.

Logo Wen bei seiner Lieblingsbeschäftigung

Von der Bank kommt Wendell Green Jr. Der Sophomore ist noch ein Stück kleiner als KD Johnson und erinnert noch stärker an Jared Harper, der als Upperclassman den Final Four Run mit seiner Kombination aus tiefen Dreiern und nicht zu unterbindenden Drives orchestrierte.

Nicht von ungefähr nennt Pearl seinen Schützling gerne „Logo Wen“. Green drückt gerne aus acht oder neun Metern ab und trifft dabei erstaunlich oft. Während Johnson eher die Tendenz hat, auch im Angesicht von drei Verteidigern noch das Leder durch den Ring prügeln zu wollen, hat Green schnell verstanden, dass Kessler als Lobziel meist die bessere Option ist. Nun muss der kleine Guard noch verstehen, dass manchmal ein Drive angebrachter als der nächste Dreier aus neun Metern wäre.

Allen Flanigan

Auch nach seiner Verletzung hat Allen Flanigan nichts von seinem Drang zum Korb eingebüßt

Eigentlich hätte Allen Flanigan der Topscorer der Tigers werden sollen. Doch in der Preseason zog sich der Linkshänder einen Teilanriss der Achillessehne zu und war damit knapp drei Monate zum Zuschauen verdammt. Seit seiner Rückkehr ist Flanigan nun noch darum bemüht, seine Rolle im Team zu finden. Zwischen den Bigs mit NBA-Perspektive und seinen beiden Guard-Kollegen bleiben nicht mehr viele Touches übrig.

Dabei bringt Flanigan eine weitere Dimension ins Spiel, die kein anderer Akteur des Kaders derartig besitzt. Denn Flanigan kombiniert Größe und Tempovariationen im Pick & Roll so gut, dass er im Zusammenspiel mit Kessler in der Regel immer einen guten Abschluss für sich oder seinen Partner kreiert. Hier muss Auburn noch einen Weg finden, Flanigan öfter in solche Situationen zu bringen.

Xs & Os

Grundsätzlich lebt Auburns Spielweise in erster Linie von Energie und viel Selbstvertrauen in die eigenen Stärken. Bei aller Emotion geht manchmal die Struktur verloren. Die Balance zwischen Freiheiten für die Guards und einer strukturierten Offensive ist vermutlich der Knackpunkt, der für die Tigers ganz oben auf der Agenda stehen sollte.

Immerhin: das Bread-and-Butter-Play von Pearl, eine speziell abgewandelte Variante der Flex Offense, funktioniert auch in dieser Saison bestens. Dabei wissen eigentlich alle Gegner, was kommt. Allerdings gelingt es dem SEC-Primus dennoch häufig genug, im richtigen Moment, den einen Verteidiger oder das eine Matchup zu identifizieren, bei dem das Play trotz aller Vorwarnungen gelingt.

Bruce Pearl

Neuer Acht-Jahres-Vertrag: Bruce Pearl hat allen Grund zufrieden zu sein

Abschließend muss bei aller Euphorie über den Erfolg dann doch noch eine Relativierung des Ganzen folgen, die einen bitteren Beigeschmack liefert und die Bigotterie des NCAA-Systems offenlegt.

Denn der größte Nutznießer der Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate ist Bruce Pearl. Pearl wurde im Laufe der Saison – nachdem er zum dritten Mal während seiner Coaching-Karriere in einen Recruiting-Skandal verwickelt war – von der NCAA aufgrund von regelwidrigem Verhalten mit einer Strafe bedacht. Seine unsaubere Arbeitsweise lässt sich bis Ende der 80er Jahre zurückverfolgen und sein Verständnis von Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge sowie Fairness scheinen sich dabei kaum gewandelt zu haben.

Dass Pearl letzten Endes trotz erneuten Fehlverhaltens nur zwei Spiele gesperrt wurde – bei denen es sich ausgerechnet auch noch um die beiden schwächsten Gegner der Saison handelte – und er nun zur Belohnung auch noch mit einem nigelnagelneuen Achtjahres-Vertrag ausgestattet wurde, lässt aus der Perspektive mal wieder Zweifel an der Sinnhaftigkeit des ganzen Regelsystems aufkommen.

Fazit

Die Tigers sind nicht von ungefähr das Team mit der aktuell längsten Siegesserie und dem Ranking an erster Stelle. Die bisherige Saisonleistung übertrifft alle Erwartungen und entspricht in aller Regel auch den Darbietungen auf dem Feld. Gerade in der eigenen Arena scheint es derzeit nicht möglich zu sein, Auburn zu schlagen.

Doch Vorsicht ist dennoch angebracht. Die Topteams der NCAA liegen in dieser Saison sehr nah beieinander und derzeit gibt es sicherlich ein gutes Dutzend Teams, das sich berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme am Final Four machen darf. Umso mehr wird es darauf ankommen, im kommenden Saisonmonat Schwächen weiter zu minimieren und im entscheidenden Moment in Bestform zu sein.

Für Auburn heißt das: Eine ausgewogenere Mischung zwischen freiem Spiel und kontrollierter Halbfeldoffense finden und in diesem Zusammenhang weniger abhängig von den eigenen Emotionen zu werden. Zwar geht der Plan bislang sehr gut auf. Doch droht immer ein wenig die Gefahr, dass die Emotionen Überhand nehmen und in brenzligen Situationen, in denen ein kühler Kopf und rationale Entscheidungsfindung gefragt wären, die Kontrolle entgleitet.

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